Kassendiebe beim Brunnenfest 2003

Fast unsere komplette Herren30-Mannschaft war Samstags ab 19:00 Uhr beim Brunnenfest zum Dienst am Stand in der Stadt eingeteilt. Erfahrungsgemäß war dies die härteste Schicht - und so kam es auch. Die Damenmannschaft hatten nachmittags in der Schicht vor uns noch eine ruhige Kugel schieben können. Als aber gegen Abend die Band am Salinenplatz zu spielen begann, füllte es sich recht schnell und wir rödelten alle hinter dem Tresen wie die Weltmeister.

Ein Teil der Mannschaft war im Bierwagen mit dem Zapfen und Ausschenken beschäftigt, der Rest verkaufte in einem aus Biertischen geformten U Apfelwein, Limo etc. Von der CDU stellte sich u.a. die neue auswärtige Bürgermeisterkandidaten Anne Storno-Weigel mit den Orber Parteifreunden bei uns vor.

Als ich im dicksten Trubel kurz gegen Mitternacht einmal nach hinten zu einem der Kühlwagen ging, um einen neuen Wasserkasten zu holen, erschallte auf einmal der Ruf „Haltet ihn, der klaut die Kasse!“ Während ich über einen Spültisch sprang, flankte Holger über die Biertische und auch Rene gab Gas zur Verfolgung. Einige Leute waren in Richtung Polizeistation gegangen (die wegen Renovierung gerade in den Orbgrund verlegt war) und zeigten den Weg, den der Dieb genommen habe. Wir spurteten in Richtung Restaurant „Kamin“, sahen aber niemanden mehr. Dabei gingen mir die verschiedensten Gedanken durch den Kopf: Den ganzen Abend umsonst geblockert, Club hat eh wenig Geld usw. Woran ich in diesem Moment nicht dachte: Vorstandsmitglied Egbert hatte schon regelmässig die grössten Scheine aus der Kasse genommen, sodaß keinesfalls die ganzen Einnahmen stibitzt worden waren. Für mich ging es in diesem Moment aber um Wohl und Wehe des ganzen Clubs.

Holger und Rene rannten vorweg und waren schon beim Gradierwerk. Ich hielt an und ging nachdenklich wieder ein paar Schritte zurück. Nun überlegte ich mir, wo ich denn hinrennen würde, wenn ich Dieb wäre und mir die Meute auf den Fersen folgte. Ich ging auf ein dunkles Grundstück, wo aber gleich durch einen Bewegungsmelder ein Licht anging. Als ich zurück auf die Strasse ging, näherte sich der Tennisclub-Mob mit Jochen und den Mitsubishi-Weisbeckers. Ramona keifte „Hallo, was machen Sie denn da, da ist der Dieb, haltet ihn!“ Ich grollte zurück „Halt die Klappe!“, hörte Jochen sagen „Beruhige dich Ramona, das ist doch der Olli!“ und suchte nach der nächsten Fluchtmöglichkeit. Dies war der Fussweg vor dem Kamin, der die Verbindung zur Leopold-Koch-Strasse herstellte. Hier ging ich hinauf und wirklich: Auf einem etwas ungepflegten Grundstück mit hoher Wiese, das von einem Jägerzaun umgeben war, hockte ein knapp 20jähriger Kerl im schwarzen T-Shirt im Gras. Ungefähr in dem Moment, als ich ihn sah, kam ein Auto die Leopold-Koch-Strasse hinaufgefahren. Er sah es, stand auf und rief zum Fahrer des Wagens „Hier bin ich, ich hab die Kasse!“.

Der Wagen hielt und ein weiterer Kerl im roten T-Shirt stieg aus. Ich war derweil über den Zaun gesprungen und ging nun auf Schwarzshirt los. Der warf mir die Stahlkassette in die Arme, rief „Lass mich in Ruh, da hast du das Geld!“ und versuchte, über die Wiese zu entfleuchen. „So nicht!“ knurrte ich und setzte ihm hinterher. Schon nach wenigen Schritten hatte ich ihn am Wickel und brachte ihn zu Fall. Von hinten war inzwischen Rotshirt herangekommen. Der war etwa einen Kopf größer als ich, und versuchte, mich von Schwarzshirt wegzuziehen. Die Kasse immer noch unter dem einen Arm, gab ich mit dem anderen Arm Rotshirt einen Holper, daß er sich auch rücklings auf den Boden setzte, und wandte dann meine ungeteilte Aufmerksamkeit wieder Schwarzshirt zu, der dabei war, sich hochzurappeln und wieder Fersengeld zu geben. Mit meinem freien Arm umfasste ich ihn von hinten und drückte auf alles, was ich zwischen seinen Beinen erwischen konnte.

Rotshirt hatte es sich inzwischen wohl anders überlegt, denn er griff nicht mehr weiter in das Geschehen ein und auch Schwarzshirt war nun ganz brav und jammerte „Lass mich laufen, ich geb dir auch alles, ich bin betrunken und hatte Zoff mit meiner Freundin, hab doch Verständnis...“ Dabei packte er in seine Hosenseckel und zog einige Bündel Geldscheine hervor, die er offensichtlich schon aus der Kasse ausgeräumt hatte. „Ist ja gut, aber jetzt lange ich dir noch mal in die Taschen“ erklärte ich ihm und zog noch die letzten Scheine heraus. „So, und jetzt hau ab!“, wies ich ihn an.

Während ich auf der dunklen Wiese noch nach eventuell heruntergefallenen Scheinen suchte, setzte er sich zu seinem Kumpel ins Auto und fuhr weg. Ich ging wieder den Weg zurück und traf auf halber Strecke Jochen und die anderen. Während sie mir erfreut auf die Schulter klopften und wir das Geld zurück in die Kassette räumten, fuhr ein Auto an uns vorbei. „Das waren sie, merkt euch das Kennzeichen!“, rief ich. Zwischenzeitlich war wohl sowieso die Polizei verständigt worden, denn unweit rollte ein Polizeiwagen am Burgring entlang. Jemand sprang dorthin und wies die Grünen an, dem Auto zu folgen.

Etwa eine halbe Stunde später kam ein Polizist in schusssicherer Weste und bat mich, ihn auf die Wache zwecks Gegenüberstellung zu begleiten. Im Polizeiauto erzählte er mir, daß die Diebe beim Rote-Kreuz-Haus gestellt worden seien. Er beklagte sich über den Abend, da unheimlich viele Anrufe, Beschwerden und anderweitige Einsätze aufliefen. „Orb ist ja ein einziges Altersheim, aber macht man mal was für die Jugend, gibt es nur Klagen“, meinte er. In der provisorischen Polizeiwache im Badehaus Orbgrund (wegen Umbau der eigentlichen Polizeiwache) wurde ich in das weitläufige Treppenhaus des Badehauses geführt, wo auf zwei Bänken drei Kerls und ein Mädel sassen, die etwas zerknirscht aus der Wäsche schauten. „Ja, den Herrn im roten Hemd und den im schwarzen Shirt habe ich heute abend kennen gelernt“, bestätigte ich. „Wie“, hakte ein Polizist nach, „kennen Sie die näher?“ „Nee, so war das auch nicht gemeint“, wehrte ich feixend ab.

Während ich meine Personalien zum Besten gab beratschlagten die Uniformierten, wie sie weiter verfahren sollten. „Wir machen nur eine kurze erkennungsdienstliche Behandlung und einen Alkohol-Test, dann lassen wir sie erst mal laufen“, schlug einer vor. „Und ich ruf jetzt erst mal in Gelnhausen an und lass Verstärkung kommen, das schaffen wir hier langsam nicht mehr“, meinte mein Fahrer.

Wieviel in der Kasse war, wie denn die Anschrift des Tennisvereins sei und wer der Vorsitzende heisse, wollte noch einer wissen. Ich nannte ihm einen Betrag von knapp 1.000 EUR sowie Bernd Lobentanzers Namen und erklärte, daß meines Wissens der Club eine Postfachadresse habe, die Anlage aber am Orbgrund liege. „Orbgrund? Das kann doch nicht sein, das ist doch hier!“ bewies er seine sensationellen geographischen Kenntnisse. „Ist es ja auch, einen anderen Tennisclub gibt es nicht in Orb“ erläuterte ich ihm. Es interessierte mich noch, welche Landsleute die Jungs waren. Alles Deutsche aus der näheren Umgebung, hiess es. Das Angebot, von einem Beamten zurück zum Stand gefahren zu werden, lehnte ich ab und ging durch den Kurpark zurück. Dabei wurde mir erstmal bewusst, daß die ganze Geschichte auch ganz schön ins Auge hätte gehen können, wenn es zwei Russen o.ä. gewesen wären. Ruckzuck hätte ich dann nämlich ein Messer im Kreuz gehabt. Und ein toter Held zu sein ist auch irgendwie blöd.

Egbert teilte mir mit, daß der Tennisclub sich mit dem Fussballverein geeinigt habe, die Band für eine weitere Stunde zu bezahlen, damit das Geschäft noch etwas länger brummte. Gegen zwei Uhr, als der Betrieb merklich nachgelassen hatte, entschlossen wir uns, den Laden zu schliessen. Rene hatte schon seit einiger Zeit nichts mehr gesagt und stierte nur noch glasig geradeaus. Kein Wunder: Er hatte für seinen Arbeitgeber eine Gruppe Kunden mehrere Tage auf einem Abenteuertrip mit Wildwasser-Rafting und Höhlendurchquerungen begleitet und war die Nächte zuvor dadurch selten vor vier Uhr ins Bett gekommen. Angesichts des morgigen (bzw. inzwischen heutigen) Auswärtsspieles gegen Freigericht nickte ich ihm zu, schlafen zu gehen.

Nachdem wir die nötigsten Sachen weggeräumt und in den Kühlwagen verschlossen hatten, setzte auch ich mich ab und lag gegen halb drei im Bett. Holger und Michael hatten noch überlegt, ob sie mit einigen Bekannten in den Starkasten gehen sollten.

Wie sie am nächsten Morgen erzählten, waren sie noch lange am Fussballerstand gewesen, wo es später unter Jugendlichen aus nichtigen Gründen zu einer Keilerei gekommen war. Einem Jungen in Holgers Nähe sei ein solider Bierhumpen mit Griff auf dem Kopf zerschlagen worden und der Angreifer habe den armen Kerl mit den Glasresten noch ein wenig aufgeschlitzt, wie sie berichteten. Holger habe das blutende Opfer so lange im Arm gehalten, bis die Krankenwagen kamen. Michael hatte mehrfach telefoniert, dass die Sanitäter nun wirklich kommen könnten, die Schlägerei sei vorbei. Der blutende Bub, dem laut Holger noch einige Glassplitter am Arm herausschauten, hatte sich inzwischen bei Holger über die Unfairness beschwert, da er erst 17 sei und der andere 21 gewesen wäre. „Ist gut, du bist eh der Größte, und jetzt hältst du still, bis die Sanis da sind!“, wies Holger ihn an. Seinem Angreifer waren die ganzen Vorderzähne ausgeschlagen worden. Detlef Kerk erzählte später, daß er ihn wegen der Gebißsanierung in Behandlung habe und die Reparatur wohl 4.000 EUR kosten werde.

Holger und Michael gingen gegen 5 Uhr beim Bäcker Kowalski frühstücken und erlebten einen wunderschönen Sonnenaufgang, wie sie später schwärmten. Gegen 7:00 Uhr, als sie vor dem Rathaus auf einer Bank sassen, fuhr Holgers Frau Christine an ihnen vorbei. Diese hatte sich wohl inzwischen Sorgen gemacht und war auf der Suche nach ihrem Göttergatten. Holger sah sie vorbeifahren, dachte sich „das Kennzeichen kenne ich doch...“ und telefonierte ihr mit Michaels Handy hinterher (seines hatte er im nun abgeschlossenen Kühlwagen vergessen). Tine kam zurück und chauffierte die beiden Nachteulen nach Hause.

Um 8:00 trafen wir uns zum Medenspiel gegen Freigericht...

(von O. Huth)



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